Dorfleben und eine Beerdigung

28. Mai bis 02. Juni 2018

Um etwas mehr von Sambia zu sehen und auch kennenzulernen, wie es sich hier auf dem Dorf lebt, lud Fr Musenge mich dazu ein, mit ihm seine Mutter zu besuchen. Er kommt ursprünglich aus dem Norden Sambias, die Familie ist allerdings vor einigen Jahren in ein Dorf zwischen Ndola und Kitwe, zwei große Städte in der Provinz Copperbelt gezogen. Nachdem er bereits am Sonntag losgefahren ist, sollte ich am Montag nachkommen, wozu er mir erklärte, wie ich mit dem Bus nach Ndola komme. Das ging auch erstaunlich einfach, da ich einfach am Nachmittag zur Bushaltestelle ging, sagte, dass ich nach Ndola will und eine Minute später saß ich bereits mit meinem Ticket in der Hand im Bus, der die Haltestelle schon verließ. Die Fahrt nach Ndola dauerte etwa drei Stunden, wobei ich zwar am Fenster saß, aber eigentlich kaum mehr bemerken konnte als die Tatsache, dass die Landschaft Sambias recht eintönig ist und kaum etwas anderes als Maisfelder und hin und wieder ein paar Häuser an mir vorbeizogen.

In Ndola angekommen, holte Fr Musenge mich ab und wir fuhren ins Dorf, wo gerade zwar nicht seine Mutter, aber eine Schwester mit ihren Töchtern war. Dieses Dorf war ähnlich wie die Outstation, in der ich ein paar Tage zuvor noch zum Sonntagsgottesdienst war, quasi im Nichts. Ohne wirkliche Straße, ohne Shops, ohne Schule oder Ähnlichem. Wer hier lebt, hat kaum eine andere Möglichkeit, etwas anderes zu tun als sich um seine Farm zu kümmern. Dennoch war das Haus recht gut ausgestattet mit fließendem Wasser aus einem eigenen Container und Strom durch Solarzellen auf dem Hausdach. An die staatliche Wasser- und Stromversorgung angeschlossen zu werden, ist hier sehr teuer, da die Häuser so weit verstreut liegen. Schon im Auto hatte Fr Musenge mir erzählt, dass jemand aus der Nachbarschaft ein paar Tage zuvor gestorben war und in der Nacht hörte ich von meinem Zimmer aus Gesänge in der Ferne, eine Art Totenwache für den Verstorbenen.

Da Fr Musenge als katholischer Priester nun gerade vor Ort war, sollte er auch die Beerdigung am nächsten Tag besuchen, um den Toten zu segnen. So besuchten wir am Morgen noch die Familie des Verstorbenen und machten uns am Mittag auf dem Weg zur Beerdigung. Fr Musenge war bereits nicht besonders motiviert dazu und vermeidet es normalerweise, Beerdigungen zu besuchen, da diese immer nur viel zu spät anfangen würden und man an dem Tag daher nichts Weiteres planen könne. Tatsächlich begann die eigentliche Beerdigung erst drei Stunden später als geplant, nachdem der Leichnam von Familienmitgliedern von der Leichenhalle 12km weit zum Friedhof gebracht wurde. Die lange Wartezeit hatte viele der Teilnehmenden in die „Drinking Places“ der Umgebung gelockt und bis der Leichnam dort war, waren die meisten von ihnen vollkommen betrunken. Die Beerdigung war eine recht traurige Angelegenheit, nicht nur, weil nun mal jemand gestorben ist, sondern für mich vor allem auch dadurch, wie ich gesehen habe, wie die Menschen sich dem Alkohol hingegeben haben und dem Verstorbenen dadurch kaum eine gebührende letzte Ehre erweisen konnten. Über das allgemeine Alkoholproblem in Sambia habe ich ja schon einmal berichtet.

Der Friedhof war von außen für mich kaum als solcher zu erkennen, da es sich eigentlich um nicht viel mehr als ein einfaches Waldstück handelte, auf dem die Gräber verteilt waren. Es wurden ein paar Worte zum Gestorbenen gesagt und in diesen sein Leben grob umrissen. Danach fand das sogenannte „Body viewing“ statt, bei dem jeder den Leichnam im Sarg betrachtet hat, worauf dann das wirkliche Begräbnis folgte, was nicht anders war als bei uns: Der Sarg wurde in das Loch im Boden gelassen und dann haben die Leute Erde oder Rosen hineingeworfen, bevor das Loch mit Erde verschlossen wurde. Ein großer Unterschied sambischer Beerdigungen zu deutschen ist, dass die Menschen ihrer Trauer Ausdruck verleihen, indem sie laut heulen und ihren Schmerz nicht still in sich vergraben, sondern deutlich nach außen zeigen.

Am selben Abend hatte ich passend dazu ein spannendes Gespräch mit Fr Musenge darüber, ob und wenn ja, weshalb die Menschen in Afrika tatsächlich glücklicher sind. Er vertrat dabei die Position, dass an dem Klischee tatsächlich etwas dran sei, da wir in Europa unsere Gefühle immer so verbergen und klein reden würde, obwohl man sie auch mal hemmungslos rauslassen sollte. Unser Gespräch ging davon ausgehend noch weiter über die positiven und negativen Seiten der „westlichen“ und der „afrikanischen“ Gesellschaft und hat mir einige Denkanstöße gegeben. So denke ich nicht, dass dieses Klischee „die armen Afrikaner sind glücklich, obwohl sie nichts haben“ komplett stimmt, allerdings fällt durchaus auf, dass Themen wie Depression längst nicht so präsent sind und die Menschen allgemein, so blöd es auch klingen mag, glücklicher scheinen. Ich denke allerdings nicht, dass es – wie man dann in Deutschland schnell meint – daran liegt, dass die Menschen in Afrika eher zufrieden sind, mit dem wenigen, was sie haben und das mehr zu schätzen wissen, denn auch hier ist Konsum ein großes Thema und wer genügend Geld hat, konsumiert auch viel; vielmehr habe ich noch den Eindruck, dass Statussymbole wie Handys, Uhren, Schuhe, etc. hier noch wesentlich mehr zählen als bei uns, aber das mag auch an meinem deutschen Umfeld liegen.

Ein viel plausiblerer Erklärungsansatz für dieses Klischee ist für mich dagegen tatsächlich die Tatsache, dass unsere deutsche bzw. europäische/ westliche Gesellschaft sehr aufgeklärt ist und alles zu rationalisieren versucht. Wir sind es gewohnt, alles zu hinterfragen, doch stoßen unweigerlich mit der Zeit an einem Punkt, an dem wir keine Antworten mehr finden können und werden somit niemals zufriedengestellt. In der Religion finden nur noch wenige Menschen ihren Halt und selbst an diesem wird immer wieder gezweifelt. Dazu kommt auch, dass wir uns selbst immer wissenschaftlich erklären wollen, anstatt unsere Gefühle einfach mal zu akzeptieren und so auch zu zeigen. In Afrika dagegen (ich verallgemeiner das jetzt einfach mal) hat die Religion und auch der Aberglaube bzw. der Glaube an Hexerei noch eine große Bedeutung, was definitiv auch nicht immer positiv ist, gerade in Bezug auf Hexerei. Es gibt den Menschen allerdings auch einen Halt, eine Ansprechperson (Gott) und Antworten auf ihre Fragen, was leichter zu Zufriedenheit führt.

Zum Abendessen waren wir bei Fr Musenges Schwester in Ndola eingeladen, wo mir auch noch einmal stärker der Unterschied zwischen dem Land- und dem Stadtleben bewusst geworden ist, gerade im Vergleich von Fr Musenges Nichte auf dem Land und einer Nichte in der Stadt. Denn während diejenige auf dem Land kaum Englisch spricht, erst spät beginnt in die Schule zu gehen und viel draußen mit anderen Kindern spielt, spricht diejenige in der Stadt problemlos Englisch und kennt Computerspiele besser als andere. Das Stadtleben ist unserem „westlichen“ Leben viel ähnlicher und verliert somit auch an Kultur. Besonders fasziniert hat mich, dass viele Stadtkinder anscheinend nicht gerne Nshima (der Maisbrei, der hier sozusagen das Grundnahrungsmittel ist) essen, während man allen anderen gar nicht erst die Frage nach ihrem Lieblingsessen stellen muss, da die Antwort (Nshima) sowieso vorhersehbar ist. Aber wer in der Stadt lebt, hat meist nun mal auch mehr Vielfalt an Gerichten und ist somit auch an Reis, Kartoffeln, Nudeln, etc. gewöhnt.

Den nächsten Tag verbrachte ich hauptsächlich im Dorf, nur am späten Nachmittag fuhren wir nach Kitwe, einer Großstadt in der Nähe, allerdings sind die meisten afrikanischen Großstädte nicht besonders spannend, da sie nur zum Arbeiten sind und keine Geschichte besitzen.

Nun sollte es wieder zurück nach Kabwe gehen und Fr Musenge sagte schon am Morgen, dass uns Ndola eventuell ein wenig aufhalten würde. „Ein wenig“ war wohl optimistisch, denn aus einer eigentlich drei Stunden langen Fahrt wurden mal eben acht Stunden. In Ndola stoppten wir eigentlich nur, um ein paar Bücher für Katechesen im Catholic Book Shop des Bistums zu besorgen, allerdings traf Fr Musenge dort einen Franziskaner-Priester, mit dem er vor 15 Jahren mal zusammengelebt hatte. Daraufhin wurden wir erst mal durch das ganze Kloster der Franziskaner in Ndola, die auch den Bookshop leiten, und ihre katholische Druckerei geführt. Kurz bevor wir uns schließlich auf den Weg machen wollten, traf ich noch einen ehemaligen Freiwilligen aus Österreich, der gerade zu Besuch da war, und einen Pfarrer, der in Deutschland studiert hatte und ganz begeistert davon war, uns deutsch sprechen zu hören.

Nachdem wir in etwa die Hälfte des Weges bis nach Kabwe zurückgelegt hatten, folgte der nächste Stopp: ein kleiner Nationalpark, ein paar Kilometer von der Hauptstraße entfernt. Fr Musenge hatte von diesem bislang nur gehört, aber ihn noch nie besucht und wollte nun sehen, ob er Besucher dort gut einquartieren könnte. Wir fuhren einmal durch den Nationalpark hindurch, dabei allerdings immer wieder an der nicht besonders gut gekennzeichneten Rezeption des dazugehörigen Hotels vorbei. Im Park sahen wir ein paar Zebras, Affen und Springböcke, insgesamt aber nicht besonders viele Tiere. Schlussendlich schafften wir es, die Preise für Zimmer herauszufinden, die Fr Musenge allerdings direkt wieder umkehren ließen. „Keine Löwen!“, schnaubte er im Auto. „Ich bezahle doch kein Geld, nur um ein paar Zebras zu sehen.“ Damit war dieser Nationalpark also abgehakt.

Nach weiteren drei Stunden mit Zwischenstopp, um etwas zu essen, erreichten wir schließlich Kabwe. Im Auto erreichte Fr Musenge der Anruf eines anderen Salesianer-Priesters aus Sambia, der auch gleich meine nächste Reise ankündigte. Die beiden mussten nämlich in der folgenden Woche zu einem Meeting im Norden Sambias und da noch Platz im Auto war, fragte mich Fr Musenge, ob ich nicht mitkommen wollte, was ich natürlich nicht verneinte.

(Wie ihr vielleicht bemerkt, habe ich ein großes Talent dafür, mein Handy zu vergessen oder einen leeren Akku zu haben, daher gibt es leider keine Fotos von dieser Reise.)

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